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Erst vor kurzem besuchten wir eine 1. Klasse einer Grundschule, die einen hohen Anteil an Jungen hatte. Die Lehrerin wünschte sich Unterstützung im Umgang mit den Kindern, da die Streitigkeiten untereinander immer in körperlichen Auseinandersetzungen mit Verletzungen endeten. Wenn die Kinder sich auf dem Schulhof „prügelten“, dann bekamen sie eine Verwarnung und schließlich einen Brief nach Hause.

Kämpfen wird in Schulen meist als eine gewaltvolle Handlung gesehen, wo es um die Eskalation eines Streits geht und körperliche Verletzungen drohen. Auf dem Schulhof sowie im Sportunterricht wird das Kämpfen von den Lehrer/innen deshalb unterbunden.

PAZURU steht dem Thema Kämpfen dabei differenzierter gegenüber:

Kinder sollten eine Möglichkeit bekommen, um ihre Körperlichkeit ausleben zu können. Ziel sollte es sein die Energie sinnvoll zu kanalisieren, um den Kindern ein Ventil zum Aggressionsabbau zu geben.

Die zunehmende Digitalisierung lässt die Kinder sich immer mehr von ihrem Körper entfernen und ihr Alltag wird immer kopflastiger. Diese „Entkörperisierung“ scheint die Corona Pandemie durch eine Einschränkung der Bewegungsmöglichkeiten leider noch verstärkt zu haben. Somit steigen die geistigen Anforderungen immer mehr im Vergleich zu den körperlichen Aktivitäten.

Solch ein Ungleichgewicht fördert unserer Meinung nach Wutausbrüche und unkontrollierte „Austicker“, denn irgendwann muss diese aufgestaute körperliche Energie doch einmal raus.

Auf was achten wir, damit Kämpfen eine sinnvolle Möglichkeit für mehr Ausgeglichenheit werden kann?

Feste Regeln

Kämpfen bzw. speziell Ringen und Raufen sollte angeleitet unter Regeln durchgeführt werden. Dabei spielt ein klarer Rahmen mit einem festen Regelwerk, das für alle transparent ist und absolut konsequent eingehalten wird eine wichtige Rolle. Bis zum Alter von 10 Jahren empfehlen wir nur das Ringen und Raufen ohne Schläge oder Tritte durchzuführen.

Regeln wie zum Beispiel das Verbeugen voreinander mit dem gleichzeitigen Aussprechen des Satzes „Respekt, ich passe auf dich auf, wir kämpfen jetzt miteinander, aber wir tun uns nicht weh!“ gibt den Kindern ein Gefühl von Sicherheit.
Sehr wichtig ist auch den Kindern durch die Stoppregel jederzeit die Möglichkeit zu geben eine Kampfsituation aufzulösen. Durch das bloße „Stopp“ sagen oder das Abklopfen am Boden, löst sich der Partner sofort und hört umgehend mit dem Raufen auf.

Geschulte Aufsicht

a) Mattenblick

Die Trainer haben dabei stets durch einen guten Mattenblick (eine wichtige Technik, die jede Mattenleitung bei PAZURU beherrschen muss, wenn er/sie Gruppen leitet) jedes Pärchen im Blick, damit das Kämpfen zu jedem Zeitpunkt Spaß bleibt. Die Kinder sollen das Kämpfen als eine spielerische Art des Miteinanders erleben, bei dem der andere nicht als Gegner, sondern als Partner wahrgenommen wird.

b) sinnvolle Partnerwahl

Vor dem Beginn der Kämpfe achtet der Trainer auf die richtige Partnerwahl. Damit ist nicht nur Gewicht und Größe gemeint, sondern vielmehr die charakterliche Zusammenstellung der Partner. Robuste und energiegeladene Kinder sollten dabei möglichst nicht mit schüchternen oder vorsichtigen Kinder zusammengebracht werden. Dadurch können Ängste und Verletzungen entstehen, die für beide Parteien keinen Benefit bringt.

c) Verletzungen vorbeugen

Während der Kämpfe achtet der Trainer auf mögliche Verletzungsherde wie zum Beispiel Pärchen, die zusammenstoßen könnten oder wenn Pärchenzusammenstellungen sich plötzlich als nicht sinnvoll zeigen, z.B. durch Tagesform oder neue Kinder, deren Charakter noch nicht bekannt ist. Diese Situationen benötigen direkt eine Betreuung durch den Trainer.

d) Verbale Unterstützung

Die Trainer sollten speziell darin geschult sein wie sie verbal ein Kind motivieren und sinnvoll loben können, damit es seine Komfortzone während eines Kampfes verlässt und sein gesamtes Potential entdecken kann. Dabei ist nicht gemeint, dass es darum geht den Kampf zu gewinnen, sondern sich z.B. aus einer schwierigen Situation ganz allein herauszukämpfen, nicht aufzugeben, durchzuhalten oder jemand größeren am Boden festhalten zu können.

e) Reflexion als mächtiges Tool zur Stärkung des Selbstbildes

Wenn ein Kind in einer Kampfsituation über sich hinaus gewachsen ist, sollte ein Trainer dem Kind direkt danach einen Spiegel vorhalten und berichten was er/sie gesehen hat: „Hast du gemerkt, dass du gerade den Jungen, der einen Kopf größer ist als du, mehr als 1min festgehalten hast?“ oder „Hast du gemerkt, dass du dich ganz alleine aus dem Haltegriff befreit hast, obwohl der andere viel schwerer ist?“. Diese Reflexion hilft dem Kind seine Selbstwirksamkeit wahrzunehmen und das Selbstbild positiv zu verändern.

Erfolgserlebnisse für Kinder, die sie dringend brauchen

Übergewichtige Kinder haben im normalen Sportunterricht keinen Spaß. Alles was mit Rennen, Springen oder Turnen zu tun hat, fällt ihnen schwer. In der Klasse werden sie als unsportlich wahrgenommen und die Chance, dass diese Kinder Sport als etwas Positives wahrnehmen, sinkt mit jeder Sportstunde. Beim Raufen allerdings wird das zusätzliche Gewicht zum Vorteil. Meist haben diese Kids auch mehr Kraft und werden die vermeintlich sportlicheren Kinder beim Kämpfen dominieren. Wir erleben oft, dass diese Kinder plötzlich von sich überrascht sind und sagen: „Wow, ich wusste gar nicht, dass ich so viel Kraft habe.“

Raufen – Wahrnehmungs- und Empathietraining in einem

Dadurch, dass viele Kinder ihren eigenen Körper nicht mehr richtig spüren können, fällt es ihnen schwer ihre Kräfte zu dosieren und die Auswirkungen ihrer körperlichen Handlungen einschätzen zu können. Wie weh tut es, wenn ich mich auf jemand lege, wie fest kann ich einen Arm festhalten, wie fühlt sich das an, wenn ich auf den Boden falle… Raufen ist ein Feuerwerk für die Sinne und fördert Koordination, Kraft und Ausdauer gleichzeitig. Dabei muss ein Kind sich selbst spüren, aber gleichzeitig auch den Partner. Es befindet sich somit ständig in einem dynamischen Ablauf von Action und Reaction – halte ich dagegen oder gehe ich mit? Dieser Prozess läuft dabei hauptsächlich unbewusst ab und schult die Körperwahrnehmung wie auch das Einfühlungsvermögen für seinen Partner.

Methodischer Aufbau – von wenig zu viel Körperkontakt

Wenn wir Kurse in Schulklassen geben, ist es eklatant wichtig, dass die Rauf-Übungen methodisch sinnvoll aufgebaut sind. Körperliche Enge kann für manche Kinder beängstigend oder bedrohlich wirken. Deshalb bauen wir unsere Stunden stets nach diesem Prinzip auf:

1. Übungen mit wenig Körperkontakt, z.B. Hände oder Rücken

2. Partnerkampfspiele mit wenig Körperkontakt, die schnell enden

3. Kampfspiele mit Material, wo sich das Kampfziel auf einen Gegenstand bezieht.

4. Partnerkampfspiel mit Stück für Stück mehr Körperkontakt

5. Gruppenkampfspiel jeder gegen jeden als komplexeste Form des Ringen und Raufens.

Fazit:

Kämpfen bzw. Ringen und Raufen sollte nicht lediglich als gewalttätige Auseinandersetzung gesehen werden. Es hat so viel mehr zu bieten, wenn die Trainer/Pädagogen den richtigen Rahmen dafür schaffen. Dann können die Kinder körperlich und sozial emotional von dieser abwechslungsreichen Übungsform profitieren, ihr Selbstbild neu interpretieren und gemeinsam richtig viel Spaß und Freude erleben.